Samstag, 14. Dezember 2013

Alte Bekannte

Ich überlege bei vielen Einsätzen, ob sie sich für einen Blogbeitrag eignen oder nicht. 
Einige sind zu banal, bei anderen funktioniert die Situationskomik sicher nicht, wenn man sie aufschreibt, wieder andere darf man einfach (noch) nicht erzählen... und heute überlege ich, ob es zu sehr nach "Fishing for Compliments" klingen könnte.

Aber mir ging es nicht um die Komplimente und auch nicht um die Karma-Punkte. 
Macht euch selbst ein Bild.

Ich komme gerade vom Nachtdienst. Draußen sind um die Null Grad und wir haben zwei Glatteisunfälle aufgenommen. Der Wind ist ziemlich beißend im Gesicht. Zum Glück mussten wir nicht lange in der Kälte arbeiten sondern konnten uns zwischen den meist überdachten Einsätzen im Streifenwagen aufwärmen.

Gegen Mitternacht wird uns eine hilflose Person gemeldet, die in einem Hauseingang liegen soll. Ein typischer Einsatz einer Samstagnacht. Sicher wieder eine Schnapsleiche. Womöglich haben die "Freunde" noch schnell ein Handyvideo gemacht, bevor er zu lästig wurde und sie ihn an der nächsten Ecke zurückließen. Na, dann lassen wir uns mal anpöbeln...
Als wir an der Hausecke ankommen laufen gerade ein paar Jugendliche an dem Mann vorbei, der rücklings mit angewinkelten Beinen auf den Kacheln vor einem Geschäft liegt. Prima: Die Jungs haben den doch gesehen - aber anstatt wenigstens mal zu gucken ob ihm etwas passiert ist gehen sie einfach vorbei...

Dann schauen wir eben nach dem Rechten. Zum Glück gibt es bei uns "auf dem Dorf" kaum Menschen, die sich die Winternächte auf der Straße um die Ohren schlagen müssen. Und die wenigen, die selbst keine Unterkunft mehr finden, können wir oft in eine Notunterkunft lotsen. Menschen, denen es so dreckig geht dass sie sich selbst dazu nicht mehr aufraffen können, trifft man hier sehr selten. Wollen wir doch mal sehen, wer es hier nicht bis in sein Bett geschafft hat.

Während sich unsere Schritte dem Schlafenden nähern, richtet er sich auf. Ach nee: den kenne ich doch! Ein Mann, etwa in meinem Alter, der ursprünglich aus Westafrika stammt und mit Anfang zwanzig, als ich gerade bei der Polizei anfing, sein Leben schon so gut wie weggeworfen hatte. Drogen- und Alkoholsucht hatten ihn damals schon dermaßen im Griff, dass seine Wohnung nur noch aus einem kaputten Schrank, einem stinkenden Teppich, einer durchgelegenen Matratze  und einem Haufen Scherben bestand. Dieser Haufen wuchs mit jeder Bierflasche, die er an den Wänden zerschlug. Wie viele Einsätze ich mit ihm wohl schon hatte? Zwischendurch täglich mehrere...

Ich hatte ihn jetzt mindestens fünf Jahre nicht mehr gesehen und nun wirklich nicht damit gerechnet, ihn jetzt nüchtern und ordentlich gekleidet vor mir zu haben.
"Mensch, _______, dass ich dich noch mal sehe. Was machst du denn in ______?" - ich freute mich ein bisschen, dass es ihn noch gab, und auch der Kollege war total perplex. "Wir dachten schon dich gibt's nicht mehr!"
Er erzählte bereitwillig, dass sein gesetzlicher Betreuer ihn in einiger Entfernung in eine Suchtklinik geschafft und er die Therapie bisher gut durchgehalten hatte. Der Kerl ist clean. Wie abgefahren!

Jetzt war er in seiner alten Heimat zurück und wollte eine Wohnung suchen. Da das aber leider irgendwie nicht so funktionierte, wie er es sich vorstellte war er wildentschlossen, auf der Straße zu schlafen. Zu den alten Kumpels wollte er natürlich nicht zurück, die saßen noch immer in ihren Drogi-Buden und hätten ihn sicher auf ganz blöde Ideen gebracht.

Aber was nun? Draußen schlafen bei knapp über Null Grad, mit einem Pullover und einer Steppweste? Und sich womöglich noch das gesamte Ersparte von marodierenden Partyheimkehrern abziehen lassen?
Nee, das wäre erstens kein gutes Omen für die Rückkehr in die alte Heimat und zweitens wirklich gefährlich.
Also nahm er, durchgefroren wie er war, gerne unser Angebot an, sich im Gewahrsam aufzuwärmen. Er hatte schon einige Nächte in Hauseingängen verbracht und die Aussicht auf einen warmen und dazu auch noch sicheren Schlafplatz gefiel ihm sofort. Was es für diesen jungen Mann bedeuten kann, uns sein volles Portmonee in die Hand zu drücken ("Hier, passt mal drauf auf!") und sich in der Zelle auf die Matte zu legen kann sich jemand aus unserer Sicht, die wir hier mit einem heißen Kaffee am Schreibtisch sitzen oder mit unserem Smartphone auf der Couch im Internet surfen, sicherlich gar nicht ausmalen.
Vermutlich wäre er auch draußen irgendwie klargekommen. Er hätte im Bahnhof oder bei Mc Donald's irgendwie die Nacht überstanden und den nächsten Tag vermutlich auch. Er hätte sogar Geld zusammenkratzen können für ein Hotelzimmer. Aber manchmal können wir auch einfach helfen. Und wer weiß, was wir ihm damit erspart haben... 

Wenn euch also, gerade in den Wintermonaten, Menschen begegnen, die draußen schlafen schaut bitte wenigstens ob sie ok sind, oder greift zu euren Smartphones und kriegt raus, ob es in der Nähe einen Kältebus oder sowas gibt, damit ihnen nichts passiert.
Und wenn ihr euch vielleicht alleine nicht traut, genauer hinzusehen, dann ruft halt die Polizei an und lasst sie es tun.

Ist sicher auch gut für's Karma :-)


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