Dienstag, 23. April 2013

Amanda Lear

Heute möchte ich euch von einer unserer Stammkundinnen erzählen und ich weiß nicht, ob euch gleich zum Schmunzeln oder Kopf schütteln zumute ist. Dieses Posting wird vermutlich ganz ohne Pointe auskommen, aber so ist das Leben. Manchmal ist da am Ende des Tages einfach keine.

Wir befinden uns in meinem letzten Nachtdienst.
Im Laufe der Nacht sind wir schon einige Male am Fenster der Frau vorbeigefahren, um die es gehen soll. Im Wohnzimmer blinkten immerzu die bunten Neonlichter eines maskenartigen Glasbildes, dessen Anblick jeden vernunftgesteuerten Menschen nach wenigen Momenten zur Weißglut bringt, und draußen war für ihre Verhältnisse recht leise Schlager zu hören. Amada Lear - Queen of Chinatown. Sowas in der Art. Ihr habt eine ungefähre Vorstellung. 
Jede Menge Krams hatte sie aus dem Fenster auf den Gehweg geworfen. Einen Hula-Huup-Reifen, ihren alten Staubsauger, Socken und irgendwelchen Schnickschnack. Alles, was sie wohl gerade nicht brauchte. Hinter den Gardinen lief sie stundenlang rastlos umher. Wir hatten sie bisher nicht zur Ruhe ermahnt. Solange sich die Nachbarn nicht gestört fühlen soll sie halt ihre Musik hören. Immerhin halten wir sie für wirr, aber nicht gefährlich. 

Um kurz nach fünf am Morgen beklagt sich dann doch noch ein Nachbar, dass er nicht schlafen kann.

Als wir klingeln, steht die Dame dann (mal wieder) sehr spärlich bekleidet vor uns. Immerhin ist sie dieses Mal nicht komplett nackt. Das kennen wir auch schon, und besonders mein Kollege freut sich über ihr Blümchennachthemd. 
In der Wohnung riecht es nach einer Mischung aus Katzenklo, alter Wäsche, Alkohol, Rauch und Müll. Es ist dieser Geruch, den wir schon so oft gerochen haben, und der das Ergebnis eines völlig aus dem Ruder gelaufenen Lebens zu sein scheint. So wie die Mischung aller Wasserfarben immer Braun ergibt, so ist die Mischung allen Chaos immer dieser Geruch.
Die Mischung aller McDonalds Produkte ergibt übrigens auch einen Sammelgeruch. Aber einen anderen... und ihr kennt ihn alle! ;-) Ich schweife schon wieder ab...

Unsere Ruhestörerin begrüßt mich mit meinem Namen und wischt sich mit dem Ärmel ihres Nachthemdes eine große Portion Schnodder aus dem Gesicht. Dann fängt sie an, wie ein Wasserfall komplett wirr und zusammenhanglos zu daher zu reden. Ihr gesetzlicher Betreuer, der eigentlich helfen soll, das Chaos in ihrem Leben zumindest in beherrschbare Bahnen zu lenken, hat sie angeblich ausgeraubt - über diesen Gedanken heult sie los greift mit ihren Schnodderfingern nach meiner Jacke. Och nee, bitte nicht anfassen... Ich weiche zurück und versuche, ein Gespräch über ihre Geldsorgen zu beginnen. Aussichtslos. Vermutlich wird sie ihr "Taschengeld" in Drogen und Alkohol investiert haben. Für Lebensmittel blieb da nicht mehr viel. 
Im nächsten Augenblick ist sie verliebt in den Kollegen, schnappt sich ein Plasikblumengesteck mit diversen klebrigen Anhaftungen vom Schrank und möchte ihm ein Geschenk machen. Noch während er mit spitzen Fingern dankend annehmen möchte, zieht sie ihr hastig Präsent zurück und schimpft, er sei ein blödes Arschloch, gerade bei ihr eingebrochen und solle sich jetzt verpissen.

Deutliche Worte. Aber wir kennen das alles schon und lassen sie stänkern. Ich bin mir außerdem sicher, dass sie uns damit nicht meint. Jetzt tapert sie in das, was eigentlich ein Badezimmer sein soll, aber irgendwie zu einem ausufernden Katzenklo mutiert ist.
Wann ihr Betreuer zuletzt bei ihr war, lässt sich nicht herausfinden, da muss ich wohl jemand anders fragen. Heute noch muss er sich jedenfalls kümmern. Dafür werden wir sorgen.

Wir verabschieden uns und ich bin mir nicht sicher, ob sie überhaupt wahrgenommen hat, dass wir ihre "Kompaktanlage" mitgenommen haben, damit die Schlagerparty ein Ende hat und die Nachbar zur Ruhe kommen. Erklärt habe ich's ihr, aber da waren ihre Gedanken gerade irgendwo jenseits der Reichweite meiner Worte.

Gut, dass es das System der gesetzlichen Betreuer gibt, die es irgendwie schaffen, dass auch solche Extremfälle vielleicht wieder zur Ruhe kommen. Und wenn sie wieder ein bisschen näher an der Realität lebt, dann darf sie auch ihre Kompaktanlage zurück haben. 

Versprochen.



Mittwoch, 17. April 2013

De omweg

Auch heute geht es um weibliche Navigation, allerdings ohne TomTom. Man munkelt ja, das räche sich zuweilen. Im März 2011 zum Beispiel:

Das Dorf, in dem ich arbeite, findet sich - Einheimische mögen mir die folgenden Zeilen großherzig verzeihen - nicht zwingend unter Nordrhein-Westfalens Top10 der angesagtesten Ausflugsziele. 
Trotzdem übergeben uns die Kollegen des Spätdienstes zu Beginn einer lauen Samstagnacht eine Touristin, die ohne unsere Hilfe vermutlich noch heute im Dorf verschollen wäre. Aber fangen wir ausnahmsweise mal vorne an.

Die Omi, die mir am Wachtisch gegenübersteht, spricht laut und deutlich in einer Sprache, die nicht meine ist. Sie erzählt etwas von "Kerk um tien uur" und einem "Uitstapje" mit ihrer "Vriendin", die direkt an der "Grens" wohnt.
Aber die Grens zu den Niederlanden ist geschlagene 120 Kilometer und mindestens vier Autobahnkreuze entfernt?! Sie versteht mich nicht recht. Ich verstehe, dass sie morgen um zehn in die Kirche möchte und eigentlich nur eine Freundin an der Grenze besuchen wollte. Hätte ja klappen können... 
Es stellt sich heraus, dass besorgte Anwohner sich bei der Leitstelle gemeldet haben, weil die Omi mit ihrem käsefarbenen Kennzeichen über Stunden durch die Reihenhaussiedlung brauste, ohne je irgendwo zu klingeln. Zum Glück wurde sie schließlich von einem Kollegen angehalten, dessen Niederländisch so weit über eine Frikandel-Bestellung hinaus reichte, dass bald klar wurde: Omi ist leicht vom Kurs abgekommen und möchte nach Hause.

Und Omi hat Hunger, denn - Hut ab vor ihrer Ausdauer - sie hat seit Freitagmorgen (Ja: Alle noch mal hübsch oben nachlesen, wann sie aufgegabelt wurde) in einem Wohngebiet in NRW ein Haus gesucht, das tatsächlich 120 Kilometer entfernt irgendwo an der Grenze nahe Venlo steht. Und zwar auf der niederländischen Seite. 
Nun hat unser hügeliges Revier mit Venlo ungefähr so viel Ähnlichkeit wie Omis Heimatland WM-Titel - um unsere Frau Antje zu verwirren hat es wohl trotzdem locker gelangt!
Bei Schokoriegeln und Mineralwasser schmieden Omi, der Kollege und ich also einen Plan für ihre Heimkehr. Die Überlegungen, ihr den Weg zu skizzieren, eine Routenplanung auszudrucken oder einfach "veel Geluk" zu wünschen, scheiden aus. Das Blümchen auf der Rückbank ist schon schrumpelig. Noch eine Nacht im Auto, womöglich noch weiter östlich, und Omi wird genauso welk - Das können wir nicht riskieren. Wie kriegen wir also einen nahezu leergefahrenen 60-PS-Fiesta, das durstige Blümchen und Omi wieder zurück in die Heimat?! Das Barvermögen der Weltreisenden beschränkt sich auf 20.- Euro (immerhin keine Gulden mehr, die letzte Währungsreform scheint sie noch in der Heimat verbracht zu haben), eine EC-Karte hat sie nicht und Verwandtschaft ist telefonisch (natürlich) nicht zu erreichen. Auch die Freundin, die sicherlich bei erkaltetem Koffie ebenso ausdauernd in den Niederlanden auf ihr Blümchen wartet, geht (natürlich) nicht ans Telefon. Ist ja auch schon spät... 

Als wir beratschlagen, ein Hotelzimmer zu buchen und am nächsten Morgen in Omis Sinne weiter zu telefonieren, meutert sie. Stimmt: Kerk, tien uur - Ich vergaß: So viel Zeit hat Omi nun wirklich nicht. Die hat sie ja auch zwischen nordrhein-westfälischen Reihenhäusern vertrödelt.

Über Umwegen erreichen wir telefonisch die Polizeiwache aus Omis Heimatdorf. Der Kollege mag uns die ganze Story wohl erst nicht so recht glauben, bittet um Bedenkzeit und vereinbart schließlich einen Treffpunkt, an dem wir ihm Omi in die Hand drücken dürfen. Das hatte ich mir irgendwie komplizierter vorgestellt. Omis Chancen auf den heimischen Kirchenbesuch sind soeben sprunghaft gestiegen. Also: Omi ins Auto und "Hup Holland, hup"!

Ich sag jetzt mal nicht, wo wir sie samt Fiesta und Blümchen an die Politie übergeben haben. Auf dem Weg dorthin haben wir jedenfalls ihre Reiseersparnisse in Benzin investiert, der Kollege hat sich sehr viel holländisches Gebrabbel angehört, davon sehr wenig verstanden und am Ziel hat die Chocomel sehr authentisch geschmeckt.

Überliefert ist übrigens, dass Omi jetzt zwar keinen Führerschein mehr besitzt, dafür aber pünktlich zum Gottesdienst zuhause war. Und den Koffie bei der Freundin kann man ja vielleicht in die Mikrowelle stellen. Omi hat doch sicher ein Fiets, mit dem sie zum Kaffeeklatsch radeln kann. Oder - noch besser - sie lässt sich abholen.

Mittwoch, 10. April 2013

Wohin des Weges?

Heute halte ich mich ganz kurz - Als Ausgleich zu dem Roman vom letzten Mal:

Es gibt, urlaubsbedingt, wieder einen 'All-Time-Favorite', diesmal haben wir es mit einer Verkehrskontrolle zu tun:

Frühdienst. Das Dorf hat neuerdings eine kleine (und völlig unnütze) Fußgängerzone. Einheimische ignorieren sie aus Prinzip, Navigationssysteme auch - aus Unwissenheit. Es herrscht also ein buntes Treiben, das wir uns heute mal aus der Nähe anschauen, und wer besonderen Wert darauf legt, der darf auch gerne ein Verwarngeld zahlen. Schauen wir mal...

Eine junge Dame im Hausfrauenflitzer hat sich scheinbar von TomTom den Weg weisen lassen. Sie erwidert mein "Guten Morgen" derart euphorisch, dass ich ihr reines Gewissen quasi sehen kann. Die Dame weiß garantiert nicht, dass ihr Auto hier nichts zu suchen hat, aber das erkläre ich ja jetzt: "Guten Morgen. Fahren Sie nach Navi?"

Unsere Verirrte strahlt noch immer wie ein Honigkuchenpferd: "Nöö, ich fahr' nach Hagen!"

...zumindest nicht gelogen...

Freitag, 5. April 2013

Nerven wie Stromkabel

Yeehaa! Ich habe Urlaub! 
Okay, genug geprahlt - Aber wenn schon keine neuen Favoriten eintrudeln bietet es sich doch förmlich an, den einen oder anderen alten Favoriten des Tages aus dem Hinterstübchen zu kramen, hübsch abzustauben und fein säuberlich hier einzusortieren. 
Da wäre zum Beispiel ein Einsatz aus der Reihe "ganz normaler Wahnsinn", wie ihn wohl alle Kollegen zu gut kennen dürften, aber da ich ja weiß, dass nicht nur Kollegen hier mitlesen, lasse ich euch trotzdem teilhaben.

Ich habe Spätdienst. Eine Frau um die Vierzig hat den Notruf gewählt. Sie begrüßt uns aufgeregt an der Tür eines gepflegten Einfamilienhauses und ist merklich erleichtert, dass wir endlich da sind. "...eigentlich nicht so gerne die Polizei ...blablabla... die Nachbarn denken, wenn ein Streifenwagen vor der Tür ...blabla... ausnahmsweise mal ihre Hilfe. (...) Kaffee? (...) Neffe bewirbt sich jetzt auch..."

Im Haus ist es, bis auf den pausenlosen Redeschwall unserer Melderin, still. Ich lasse den Blick schweifen und nicke ab und zu. Unterbrechen möchte ich sie noch nicht.
Hier dürfte ein wohl situiertes Ehepaar leben. Sie ist vielleicht Hausfrau und hat gerade die Blümchen gegossen, er sitzt im Büro. Heute Morgen hat sie ihm ein Bütterchen geschmiert, wie sie es immer tut und am Wochenende fahren beide mit dem Kombi zum Bummeln in die Stadt. Und sie tragen Wolfskin-Partnerlook, oder mindestens Tchibo. Oh, ich sollte weniger abschweifen und ihr besser zuhören:
"...deshalb bin ich ja auch so froh, dass sie gekommen sind. Das ist doch nicht normal, dass man den Strom hört." Endlich hält sie kurz inne. Wir hören: Nichts.
Inzwischen stehen wir im Schlafzimmer. Das Bett ist von der Wand gerückt. Neben dem Nachtschränkchen liegen die Stecker der Lampen auf dem Boden. Die Steckdosen sind leer. In der Deckenlampe fehlt die Glühbirne. 
"Ich bin doch nicht wahnsinnig. Oder? Sie hören das doch auch. Ich kann überhaupt nicht mehr schlafen. Das Telefon hab' ich auch rausgezogen. Sowieso alle Stecker. Ich mach schon immer Kerzen an, abends. Das Handy muss ich immer ausschalten - Ich werde hier noch verrückt. Da baut man sich ein Häuschen und dann passiert sowas. Der Elektriker hat auch nichts gefunden (...) Defekt (...) Angst (...) Sicherungen raus (...) Manchmal denke ich, da sind Menschen hinter der Wand. Die schalten was ein. Woher soll das sonst kommen? Sagen Sie's mir. Mein Mann sagt, ich spinne."
Da ist der Redeschwall ja wieder. Ihr Contra zu geben scheint aussichtslos. Sie hört den Strom und wie soll ich auf die Schnelle  beweisen, dass das nur in ihrem Kopf stattfindet?

Ich schlage vor, sie soll eine Nacht auf der Couch schlafen und am nächsten Morgen zum Hausarzt gehen. Dem hat sie bisher von ihrem Problem noch nichts erzählt. Es war ihr peinlich. Aber mein Hinweis, dass es nie falsch sein kann seinem Arzt zu sagen, dass man bei ihr im Haus den Strom hört und dass das ja irgendwie ein Gesundheitsrisiko sein könnte, kommt an.
Der Kollege verdreht im Hintergrund die Augen. Er würde ihr wohl lieber sagen, dass man wegen so einem Schwachsinn gefälligst nicht die Polizei ruft. 
Ich bequatsche die Dame einfach trotzdem so lange, bis sie die Nummer ihres Hausarztes aus dem Telefonbuch sucht. Wer sagt's denn: Geht doch.

Auf dem Weg zur Haustür werfe ich einen Blick ins Wohnzimmer. Draußen wird's langsam dunkel, aber der Fernseher läuft und ist stumm geschaltet. Der Fernseher läuft? Sie hat doch alle Stecker rausgezogen!? Tatsache. Schräg hinter der Tür sitzt ein Mann in Karohemd und Jeans auf dem Sofa. Er trägt Kopfhörer und scheint mich nicht gesehen zu haben, bis ich mich fast vor den Bildschirm stelle. Na, der Kerl hat Nerven! Seine Frau wählt die 110 und anstatt sie zu beruhigen oder irgendeinen Plan zu schmieden guckt der Herr gemütlich TV-Nachmittagsprogramm. Entweder ist er ganz schön abgezockt oder überfordert.

Während der Kollege versucht, die Dame des Hauses abzulenken, ermutige ich ihn, seine Frau doch zum Arzt zu begleiten. Er bleibt einigermaßen stur. "Ach. Was die sich da wieder einredet. Strom hören? Die spinnt!"

"Ich glaube nicht, dass Ihr Frau spinnt. Ich glaube, dass sie Hilfe braucht! Ihre vielleicht?! Zumindest hat sie nicht aus Langeweile den Notruf gewählt, alle Stecker rausgezogen und uns durch's ganze Haus geführt. Oder?" Huch. Der saß. Aber er wird's mir nicht übelnehmen. Und wenn morgen der Hausarzt nicht plump diagnostiziert, dass sie spinnt, dann könnte das mit der Hilfe sogar was werden.

Das Ganze ist schon ein paar Jahre her. Soweit ich weiß hat sie nicht wieder den Notruf gewählt und ich habe noch einige andere Wohnungen "entstrahlt", Redeschwälle angehört und Schatten an der Wand verjagt. 
Und wenn ich an dem Haus unserer Protagonistin vorbeifahre gucke ich immer, ob man den Fernseher flackern sieht. Vielleicht gucken die Zwei ja inzwischen wieder gemeinsam. Wär' doch was. Man muss ja nicht immer gleich Räuber schnappen, um erfolgreich gearbeitet zu haben. 

Oder?

Donnerstag, 4. April 2013

Das Darlehen

Der Favorit heute ist von gestern. Also: kalendarisch.

Ich sitze in einem sich zäh dahinschleppenden Nachtdienst von der gefühlten Länge einer vollständig auseinandergeknispelten Lakritzschnecke und warte, dass sich wenigstens jemand zu mir verwählt, als ein zotteliger Mitbürger die Wache betritt.

Heureka! Besuch! Ich stelle die Rückenlehne senkrecht und schalte die Musik aus. Hereinspaziert!

Zottel verzichtet freundlicherweise auf störende Begrüßungsfloskeln und fummelt stattdessen lieber an einem Mörderpickel in seinem Gesicht: "Ich hab mein' Schlüssel beim Kumpel vergessen. Könn' Se ma die Hausmeisterin Bescheid sagen? Und wann fährt überhaupt wieder ein Bus?"

Okay: Wir kennen uns. Mein Gast bewohnt ein Zimmer im Obdach und verdient sich ein Zubrot in der "Genussmittelbranche". ;-)

"N Abend! Einen Schlüssel vom Obdach haben wir leider nicht. Da kann ich Ihnen vermutlich nicht helfen!" Ich krame in den Outlook-Kontakten nach der Nummer der Hausmeisterwohnung - erfolglos.
"Eine Nummer habe ich auch nicht. Haben Sie eine? Oder den Namen? Dann rufe ich da mal für Sie an, damit Sie jemand rein lässt" Leider Fehlanzeige. Wäre ja auch zu einfach.

"Aber die Hausmeisterin ist eh nich Zuhause. Weiß ich zufällig." raunt der (noch) Bepickelte. Ich fahre elektrisch den Schreibtisch hoch. Wenn das Teil platzt, möchte ich bitte hinter den Monitoren Deckung finden. "Na, das wäre ja ein recht kurzes Telefonat geworden wenn da eh niemand rangeht. Dann müssen Sie wohl zurück zum Kumpel, den Schlüssel holen..."

"Geht nicht. Keine Lust. Das ist auch zu weit weg. Können Sie den holen?" Langsam wird er knatschig und hat eine neue Idee: "Können Sie mir Geld leihen?"

Mein überraschter Gesichtsausdruck scheint an der Spritzschutzwand vorbei zu ihm durchgedrungen zu sein. Er schiebt nach: "Sie kennen mich ja, Sie wissen ja dann, wer's hat! Kommen Sie: Zehn Euro."

Vor allem weiß ich, wer's nie wieder sehen würde... "Nein, wir sind leider weder Schlüsseldienst noch Kreditinstitut. Das geht nun wirklich nicht."

Zottel ist beharrlich, nicht nur in seinem Gesicht: "Ey Maaaaaan... Zehn Euro. Komm. Sie können sich doch merken wer's hat! Sie haben mich doch letztens noch eingewiesen. Wir kennen uns doch."

Das ist irgendwie nicht die Art Gespräch, die ich mir zur Zerstreuung gewünscht hatte. Schade. Bis eben hatte ich doch noch Lust auf Besuch. Aber der fordernde Tonfall meines Kreditnehmers und seine Unzufriedenheit über den zweifellos hartnäckigen Pickel, gemischt mit meiner Gewissheit, dem Knilch wohl heute nicht wirklich helfen zu können, lassen mich den Ausgang des Gesprächs ahnen...
Bevor's also zum Streit kommt kürze ich die Angelegenheit lieber ab: "Hören Sie: Ich leihe Ihnen kein Geld. Gehen Sie mal zu Ihrem Kumpel zurück, schnorren Sie sich da 'n paar Euro und dann mit dem Schlüssel ab nach Hause. Wie wär' das?"

"Hmmmmmm...muss ich jetzt gehen? War das der Rauswurf, oder wie?"

"Ja. Soll ich noch schauen, wann hier vorne Ihr Bus kommt?"

"Nee, ich fahr' eh schwarz." 

Da geht er hin, mein einziger persönlicher Kundenkontakt dieser Nacht, und nuschelt sich halblaut ein "Die Bullen ey... pfffff... ers' nich' aufschließen und dann nich' mal zehn Euro... Mist hier!" in den Zottelbart.
Sein einzig erfolgreicher Moment des Abends dürfte unmittelbar mit dem leisen Aufpoppen des Eiterbläschens zu tun gehabt haben.
...Aber immerhin...

Mittwoch, 3. April 2013

Den Anfang macht "Die Katze"

"Favorit heute" - so hießen meine Facebook-Postings bisher und leiteten ein, was mir vom Tag am ehesten in Erinnerung blieb.

Die Postings möchte ich zukünftig in dieses Blog verlegen und direkt mit einem "All-Time-Favorite" den Anfang machen:

Es ist Frühdienst. Ich sitze also am Wachtisch und nehme "Bernie Bürgers" sehr besorgt klingenden Anruf entgegen:

"Die Polizei in ____, guten Morgen!"
"Ja, hallo. Sie müssen mal zum Bahnhof kommen. Hier sitzt eine Katze. Die guckt so!"
Ich überlege kurz, ob ich den Besorgnis erregenden Teil der Info überhört habe.
"Die Katze guckt so?"
Der Anrufer, offenbar ein Südländer, fährt fort:
"Ja, die sitzt da und guckt so. Am Bahnhof. Ich glaub die sucht was..."
Puh, wie sage ich dem Tierfreund jetzt höflich und ohne hörbar zu schmunzeln, dass ich der Katze beim Suchen wohl nicht so recht werde helfen können?! Ich muss mich irgendwie aus der Affäre ziehen, ohne dass er denkt, ich möchte nicht helfen:
"Ist die Katze denn verletzt, oder sucht sie nur was?"
"Neeeee, nicht verletzt. Ich glaub' halt dass die irgendwas sucht."

Wir einigen uns schließlich, die Katze erstmal allein suchen zu lassen. Sie hat übrigens nicht noch einmal angerufen und scheint wasauchimmer wohl auch ohne polizeiliche Großfahndung gefunden zu haben...

Katzen sind nach meiner Erfahrung übrigens für so mache Story gut. Ich bin also sicher, es wird noch reichlich Cat-Content hier geben...


Ein kleines Vorwort muss wohl sein...


Kann losgehen! :-)

Zuerst einmal: Guten Morgen!

Mein Name ist Annika, ich bin Polizeibeamtin in einem Dorf irgendwo in NRW und ich habe es mir seit einiger Zeit zur Gewohnheit gemacht, all die kleinen Anekdoten, die ich im Dienst so erleben darf, aufzuschreiben. 
Häufig sind es Lappalien, die den durchschnittlichen Krimileser und Tatortzuschauer weder schockieren noch anrühren, aber ein kleines Schmunzeln sollte hier und da schon drin sein, hoffe ich.

Vielleicht sind schon alle Bücher geschrieben, von den "Totos und Harrys" dieser Welt, aber vielleicht hat das Leben eben auch immer etwas Neues für uns parat. 

Lassen wir uns überraschen - ich weiß ja selbst noch nicht, was ich morgen zu bloggen habe...

Ich muss (natürlich) alle Geschichten anonymisieren, schließlich wollen wir ja niemandem auf den Schlips latschen, und für die Inhalte sind Namen und Orte meist sowieso nicht von größerem Belang.

Auch hier noch einmal der Hinweis: Alle Geschichten sind wahrhaftig so passiert. Im Gegensatz zu vielen Protagonisten schwindle ich nicht. Sonst wäre es ja auch nur halb so lustig. 

Und jetzt wünsche ich uns viel Spaß - euch am Lesen, mir am Schreiben...