Dienstag, 7. Oktober 2014

Was man weiß und was man meint, zu wissen...

„Ach, die Bullen…die kommen doch eh immer erst, wenn es zu spät ist!“ schimpft einer bei Facebook, und mault weiter, dass wir „sicher erst die Pommes aufessen mussten“ bevor wir endlich zu der Schlägerei gefahren sind. „Da kann man am Boden liegen und verbluten und keiner macht was!“ Viele pflichten ihm bei. Manche relativieren. Andere schimpfen über Knöllchen und Abzocke und ich scrolle mich durch die Kommentare und mache mir meine eigenen Gedanken…
…als wir in diesem Spätdienst am Schreibtisch sitzen haben wir gerade einen Haftbefehl vollstreckt. Ein Mann mittleren Alters sitzt in einer der Zellen und wartet darauf, dass seine Frau mit einem vierstelligen Eurobetrag im Gepäck zur Wache kommt, seine Geldstrafe begleicht und ihn wieder mit nach Hause nimmt. Naja: zumindest soll sie das Geld bringen.
Wir machen uns an den Teil der Arbeit, der nicht bei Toto und Harry und auch sonst nirgendwo gezeigt wird und erledigen Papierkram. Die Kollegin nutzt die Gelegenheit, zwischen zwei Formularen ihren zum zweiten Mal aufgewärmten Kartoffelauflauf zu essen, bis ein Kollege uns vom Computer zurück in den Streifenwagen ordert.
„Fahrt mal in die ____straße. Schlägerei.“ Der Auflauf muss warten. Kann man sicher auch ein drittes Mal aufwärmen.
Auf dem Weg zum Einsatzort sprechen wir uns kurz ab. Obwohl die Kollegin noch recht frisch im Geschäft ist sind die Ansagen klar und ich kann mich darauf konzentrieren, den Streifenwagen mit Blaulicht und Martinshorn zwischen den Autos hindurch zu schlengeln. Trotz des Verkehrs kommen wir zügig durch.
Als wir eintreffen ist von den Streitenden nichts mehr zu sehen. Wir kreisen noch eine Runde. Vielleicht hat sich ja ein Geschädigter irgendwohin geflüchtet und kommt wieder raus, wenn er die Polizei sieht?! Wir tuckern die Wohnstraße lang. Niemand da. Nur der Anrufer, der die Schlägerei beobachtet hat, erzählt kurz, wie ein Mann den anderen zu Boden geschlagen hat. Dann liefen alle weg. Jetzt scheint uns niemand mehr sprechen zu wollen.

Ein Anwohner allerdings hat erst die Schlägerei und anschließend uns durchs Fenster beobachtet. In sicherer Entfernung hat er sich bei Facebook eingeloggt und findet es eine gute Idee, einfach mal raus zu posaunen, wie viel zu spät „die Bullen immer sind“.
Von dem vollstreckten Haftbefehl und dem stehengelassenen Auflauf weiß er nichts. Aber darum geht es ihm auch nicht. Er hat gesehen, dass wir „zu spät“ kamen. Das muss zur Meinungsbildung genügen. Ihm zumindest. Klar: Wer schon einmal den Notruf gewählt und auf Polizei oder Feuerwehr gewartet hat, der weiß wie endlos einem die Wartezeit vorkommt. Aber mehr als uns beeilen können wir leider nicht. Und das tun wir, wenn’s sein muss!

Kurz nach dem Einsatz haben wir dann doch noch das zweifelhafte Vergnügen, den flüchtigen Schläger kennenzulernen. Er legt allerdings keinen gesteigerten Wert auf ein herzliches Willkommen sondern zieht es vor, sich uns mit Tritten und Schlägen und Spucken vom Leib zu halten. Oder es zumindest zu versuchen. Wir müssen beherzt zupacken.

Später, nach einiger Anstrengung, bespuckt und durchgeschwitzt können wir die Gewahrsamstür hinter ihm schließen.
Der Papierkram geht wieder los. Die Kollegin setzt sich noch einmal vor ihren Auflauf. Diesmal isst sie ihn kalt.

Morgen schreibt einer auf Facebook, was für ein fauler Haufen wir sind, immer zu langsam und nie da, wo man uns braucht. 

Ich kommentiere das nicht, ich weiß ja, dass es nicht stimmt. Ich mache mir bloß meine Gedanken...

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