Sonntag, 1. Juni 2014

Vorbilder

Na, liebe Leserschaft, habt ihr Vorbilder? 
Die meisten vermutlich schon. Es müssen ja nicht die Beatles sein, Lothar Matthäus oder Angela Merkel. Vielleicht sind es ja auch euer Nachbar, der immer die Hecke so ordentlich stutzt, oder euer Chef, den so leicht nichts aus der Ruhe bringt?! Prinzessin Lillifee für die rosa Mädchen oder doch Lukas Podolski?!
Ich habe Vorbilder. Sie sind nicht halb so glamourös, dafür aber deutlich greifbarer als die Stars und Sternchen aus dem Fernsehen. Meine Mutter zum Beispiel ist ein tolles Vorbild, weil sie ihren Papierkram immer so gut im Griff hat und mit einem Blick in den Schrank den Beleg der vor zehn Jahren angeschafften Bohrmaschine für etwaige Reklamationen zückt. Oder meinen Vater, der mit der zehn Jahre alten Bohrmaschine alle paar Jahre meine Küchenschränke in neue Wohnungen hängt und nebenbei auch noch Abflussrohre, Terrassen und Lampen zusammenklöppelt. Wenn ich von Beiden noch ein wenig abschauen kann schrumpft bald der Papierstapel auf meinem Schreibtisch und in einem besonders gewissenhaften Augenblick lackiere ich vielleicht sogar die Rolladenkästen, kaufe Fußleisten und hefte anschließend die Quittungen ab. Wegen der Reklamationen. Ihr wisst schon. 
Ich kriege das jedenfalls heutzutage hin weil ich es mir immer abgucken konnte. Das Schrauben und das Heften… und so, so vieles andere auch...
Der junge Mann in meiner heutigen Geschichte hatte auch ein Vorbild, das ihm zeigen wollte, wie Erwachsene sich verhalten. Die Geschichte ist älter, aber das Thema ist immer aktuell.


An einem Freitag im Sommer ruft die Leitstelle uns am Funk. Es hat einen Verkehrsunfall gegeben, irgendwo außerhalb. „Fahrt mal hinter die Ortschaft xxxxxx, ich kann nicht sagen, wie die Straße heißt. Wenn ihr euch rechts haltet und durch den Wald kommt müsstet ihr den Pkw finden. Anrufer ist der Beifahrer.“ 
Wir suchen. Wälder gibt es hinter den Ortschaften viele, Einmündungen ohne Straßenschilder noch mehr, und die wenigen Minuten, die wir über die schmalen Wege irren, kommen mir ewig vor. Die Straßen hier sind eng. Wenn uns ein Fahrzeug entgegen kommt muss einer von uns auf den Seitenstreifen ausweichen. Im Schritttempo kann man einander passieren.  Der Kollege auf der Leitstelle ist sich sicher, dass es kein Spaßvogel war, der uns gerufen und veräppelt hat. „Das klang echt. Sucht mal weiter!“ drängt er uns. Wir schalten das Blaulicht ein. Vielleicht sieht der Anrufer uns uns macht irgendwie auf sich aufmerksam. In der hügeligen Landschaft sehen wir einige Kilometer entfernt einen Löschzug der Feuerwehr mit Blaulicht. Die Jungs suchen auch. Verdammt. Das muss sich doch finden lassen. 
„Da!“ wir haben den Wagen gefunden. Ein wuchtiger Volvo Kombi steht mit eingedrückter Front an einer Einmündung vor einem Stahlpoller. Auf der Fahrerseite hat sich der Poller einen halben Meter in die Motorhaube des Wagens gedrückt. Der Volvo entpuppt sich als ziemlich robust. Der Innenraum ist nicht zusammengeschoben und die Airbags sind ausgelöst. Der Fahrer liegt leblos auf dem Lenkrad. Der Junge auf dem Beifahrersitz schüttelt ihn zwischendurch. Über dem Lenkrad ist die Frontscheibe ein bisschen gesplittert. Die Tachonadel klemmt bei 130 km/h fest. Ich ahne Böses.
Endlich: die Feuerwehr und der Rettungswagen treffen ein. Die Männer umringen das Fahrzeug und beginnen, die Fahrertür aufzubiegen. Der Mann hinter dem Steuer bewegt sich nicht. Der Beifahrer kann aussteigen. Er wird in den Rettungswagen gebracht und ist nur leicht verletzt. Sein Nacken schmerzt. Mit den Knien ist er gegen das Handschuhfach gestoßen und an der rechten Schulter schwillt ein dicker blauer Fleck an. Der Gurt hat ihn gewaltig gebremst. Von 130 auf Null in wenigen Metern. Ich möchte es nicht ausprobieren. Draußen werden die Feuerwehrleute immer hektischer, bis die klemmende Fahrertür sich endlich öffnen lässt. 
Dann, plötzlich, lässt die Unruhe nach. Die Feuerwehrmänner räumen ihr Werkzeug ins Auto. Der Notarzt winkt mich zu sich rüber. Dem Fahrer konnten die Retter nicht mehr helfen. Er hat den Aufprall auf die Frontscheibe nicht überlebt. Sein Sohn, der junge Mann vom Beifahrersitz, erzählt uns, wie der Unfall passiert ist. 

Es ist sein 18. Geburtstag. Sein Vater hat ihn überraschend an der Berufsschule mit dem Auto abgeholt. Vorher hat er am Straßenverkehrsamt Sohnemanns flammneuen Führerschein in Empfang genommen. Dann durfte der Junge das erste Mal fahren. Papa lotste ihn raus aus dem Dorf, auf die Landstraßen. Dann hatte er die verhängnisvolle Idee, seinem Sproß mal zu zeigen, wo er früher als Halbstarker "richtig schnell gefahren" ist. Die Zwei haben einen Fahrerwechsel gemacht. Papa wollte zeigen, was er konnte. Noch war er dem Jungen fahrerisch überlegen, das wollte er ihm beweisen. Die Strecke kannte er gut, aber heute hat er übertrieben.

Mit 130 km/h kann niemand diese Kurve nehmen. Genau hier steht dieser eine Stahlpfosten, der das Gatter zur Kuhweide hält. Genau hier endete die Fahrt. Hätte Papa sich doch nur angeschnallt...

Ich werde nie verstehen, wie risikobereit manche Menschen auf der Straße sind. Aber ich nehme weiter solche Unfälle auf. Oft sind die Autos komplett hinüber, hier nicht. Hier hatten beide die gleichen Chancen, aber nur einer hatte einen Gurt.


1 Kommentar:

  1. Eine bewegende Geschichte. Hoffentlich bewegt sie auch Leute die sich nicht anschnallen zum nachdenken. Danke!

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